Helga Halbritter arbeitet in ihrem druckgrafischen Werk in mehrfachem Sinne mit dem Zufälligen. Einerseits verwendet sie ihr Zugefallenes im Sinne von Fundstücken aller Art, seien dies Bilder, Gegenstände oder Worte, die für sie zum Ausgangspunkt ihres künstlerischen Prozesses werden. Anderseits spielt der Zufall oder das Unvorhersehbare in ihrem Werk eine wichtige Rolle, was mit ihrer Freude am Experimentieren und Ausloten der Möglichkeiten der verschiedenen Drucktechniken zusammenhängt. Im forschenden Weiterentwickeln lässt sie sich von der haptischen Sinnlichkeit und dem Widerstand der Materialien leiten.
Dabei interessiert sie besonders wie durch Überlagerungen von bereits vorhandenen Spuren neue Bilder entstehen können. Sie überarbeitet die Druckplatten immer wieder aufs Neue, zersägt sie oder schleift sie vor der Wiederverwendung nur partiell ab und lässt so Spuren von Vergangenem in neue Werke einfliessen. Die für Helga Halbritter leitende Idee der Spur – des Gravierens – als eine Form von Sichtbarmachung von Zeitlichkeit – wird besonders deutlich, wenn sie die Druckplatten verschiedenen Elementen und Prozessen aussetzt und sie beispielsweise mehrere Tage im Meer liegenlässt, so dass das Salzwasser und der Sand ihre Zeichen hinterlassen. Doch erst in dem sie solche Funde durch die der Druckgrafik inhärente Verfahren des Überlagerns mit anderem zusammenführt oder kontrastiert, entstehen ihre vieldeutigen und oft humorvollen Arbeiten.
Die gefundenen Fotografien von Vögeln und Schädeln werden in ihrer Zusammenführung zu einem Hitchcock (2012). Dabei hat sie die Fotografie der Knochen im druckgrafischen Prozess so verändert, dass die Schädel nicht auf den ersten Blick erkennbar sind, sondern eine vieldeutige Textur entsteht, die sich in der Betrachtung immer wieder transformiert und damit dem Unheimlichen Raum gibt. Über die Textur – das heisst, durch die räumliche Anordnung und Dichte – schafft sie Bedeutung. Die gilt besonders für ihren Umgang mit Wörtern, die über ihren sprachlichen Sinn hinaus als bildliche Elemente eingesetzt werden, und deren Bedeutung sie durch die Anordnung ihrer einzelnen Buchstaben wiederum erweitert wie bei Lettera Amorosa (2005).
Die Poesie ihrer Bilder entsteht jedoch nicht allein durch die Verwendung von Sprachbildern, in denen sie gleichsam ihre Gedanken verdichtet. Auch wenn ihre Auseinandersetzung mit der Kalligraphie in vielen Werken wie beispielsweise der Serie Dots 18 (2018) spürbar ist. Vielmehr erzeugt sie in ihren Arbeiten, wie in den Bildern der Serie Kosmos (2015/16), ein optisches Spannungsfeld – einen poetischen Raum, der die eigene Imagination anregt.
Eveline Schüep, Februar 2019
Meine grosse Faszination der manuellen Drucktechniken ist der kreative Prozess. Feine humorvolle Arbeiten entstehen aus «Fundstücken», sei es aus der Natur, Vergessenem, oder Worten.
Diese Dinge werden kombiniert, gedreht, zerpflückt. Es ist die Sinnlichkeit, die leitet. Das Handwerk, Arbeiten mit den Materialien, der Platte. Das Papier, welches die Schicht der Farben und jede Unebenheit aufnimmt. Das eine entsteht aus dem andern, fliessend. Überraschungen animieren zum sofortigen Reagieren beim Druckprozess. Immer wieder neue Situationen erfordern die Suche nach anderen Lösungen. Die Lust an unkonventionellen Entdeckungen treiben meine Experimentierfreude voran.
Der Fundus der vielen Platten, die immer wieder neu bearbeitet werden, zerschnitten und weiterentwickelt, fliessen so in neue Projekte ein.
Das Arbeiten und die Begegnungen in den verschiedenen Druckateliers mit anderen Künstlerinnen und Künstlern ist ein weiterer wichtiger Antrieb und eine zusätzliche Inspirationsquelle. Der Austausch bei gemeinsamen Projekten bringt immer wieder interessante und neue Möglichkeiten für eine Weiterentwicklung in den Techniken der Druckgrafik hervor. Beispielsweise kann die Kombination traditioneller Techniken mit digitalen Medien überaschend neue Bildsprachen erzeugen.